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Annette Werberger

Annette Werberger
@AWerberger

Feb 27, 2023
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"Gibt es aus Ihrer Sicht irgendetwas, das Putin an seinem Weltbild zweifeln lassen könnte?" "Nein. Nichts." Ein neuer, langer Text des russ. Soziologen @Greg Yudin 🧵 meduza.io/feature/2023/0…

"Der Krieg ist jetzt für immer. Er gibt keine Ziele, mit denen man ihn beenden könnte. Er geht einfach weiter, weil sie der Feind sind, uns töten wollen und wir sie töten wollen. Für Putin ist es eine existenzielle Auseinandersetzung mit einem Feind, der ihn vernichten will."/1
"Keine Illusionen: Solange Putin im Kreml sitzt, endet der Krieg nicht. Er eskaliert nur weiter. Die russ. Armee wird aufgestockt, Wirtschaft auf Waffen umgestellt & Bildungswesen ist für Propaganda & militär. Ausbildung. Das Land wird auf großen & schweren Krieg vorbereitet."/2
F: Und dann ist es Putin bewusst, dass er den Krieg nicht gewinnen kann? A: Völlig unmöglich. Niemand setzt sich ein solches Ziel, es gibt keine Definition für einen Sieg./3
F: Das Ziel ist also einfach W. Putin an der Macht zu halten? A: "Das ist in etwa das Gleiche. Er betrachtet seine Herrschaft als einen permanenten Krieg (postajannaja vojna). Putin und seine Anhänger haben uns schon lange gesagt, dass ein Krieg gegen uns geführt wird." /4
"Einige haben es vorgezogen, ihre Worte zu ignorieren, aber sie glauben ernsthaft daran, dass sie sich schon seit langer Zeit im Krieg befinden. Der Krieg ist für sie jetzt nur in die aggressive Phase eingetreten, aus der es offenbar keinen Ausweg mehr gibt." /5
"In dieser Weltanschauung ist der Krieg im Prinzip normal. Hören Sie auf zu denken, dass Frieden ein natürlicher Zustand ist und Sie sehen die Situation mit deren Augen. Wie die Gouverneurin des Autonomen Kreises der Chanten und Mansen sagte: 'Der Krieg ist ein Freund'." /6
"Wladimir Putin kommt im Allgemeinen bei einem großen Teil der Gesellschaft gut an. Nicht die ganze Gesellschaft teilt seine wahnhaften Theorien, aber bei ihnen findet er Gehör und erzeugt dieses Gefühl selbst."/7
"Diese Gefühle ist Ressentiment, monströse, unendliches Ressentiment. Dieses Ressentiment lässt sich nicht unterdrücken. Es macht es unmöglich, auch nur daran zu denken, produktive Beziehungen zu anderen Ländern aufzubauen." /8
"Ich erinnere mich an eine Aussage, die Putin Mitte 2021 machte, ohne Grund: Im Leben gäbe es kein Glück. Eine starke Aussage für einen Politiker, der idealerweise das Leben der Menschen verbessern und Maßstäbe setzen sollte."/9
"Und hier sagt der Mann: "Es gibt kein Glück im Leben. Die Welt ist allgemein ein schlechter, ungerechter, harter Ort, an dem die einzige Möglichkeit zu existieren darin besteht, ewig zu kämpfen, zu streiten und am Ende sogar zu töten." [Der faschistische Kampf ums Dasein, AW]/10
"Im Prinzip hat eine solche Weltanschauung keine Grenzen. Diese Formel ist nahezu offiziell akzeptiert: Russland endet nirgendwo. Dies ist die Standarddefinition eines Imperiums, denn ein Imperium kennt keine Grenzen."/11
"Ich erinnere alle an [Putins] Ultimatum im Dezember 2021. Es ist offensichtlich und sagt klar, dass ganz Osteuropa zu Wladimir Putins Einflussbereich gehört. Wie das aussehen wird, ob es einen formellen Verlust der Souveränität bedeutet oder nicht, ist dabei völlig egal."/12
"Und zu dieser Zone gehört zweifelsohne Ostdeutschland, einfach weil Putin persönliche Erinnerungen daran hat. Es fällt mir wirklich schwer, mir vorzustellen, dass er dieses Gebiet wirklich als nicht zu ihm gehörend betrachtet./13
"Ich höre oft: "Was ist das für ein Unsinn, wie kann das sein? Das ist irrational, das ist Wahnsinn, das ist nicht möglich! Ich erinnere Sie daran, dass vor nicht allzu langer Zeit alle dasselbe über die Ukraine sagten."/14
"Ich glaube, dass die russ. Kultur ein großes imperiales Element enthält. Es ist Zeit, sich damit auseinanderzusetzen. Der Zusammenbruch eines Imperiums ist ein guter Zeitpunkt dafür. Wird es die russ. Kultur tilgen? Nein. Wohl nicht einmal die Werke eines einzelnen Autors." /15
Der Text ist sehr lang, habe viel ausgelassen. Es gibt eine kürzere englische Version. Ich kann nicht allen Analysen zustimmen, aber es ist sicherlich ein diskussionswürdiger Text, v.a. für Deutschland. Für die Ukrainer steht hier meiner Meinung nach nichts Überraschendes./16
Annette Werberger
Literature & Cultural Studies Yiddish & Central & Eastern Europe Prof at European University @Viadrina 🇩🇪 🇵🇱 border - 1700 km to Naples 🇮🇹 & Kharkiv🇺🇦
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