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Ilko-Sascha Kowalczuk

Ilko-Sascha Kowalczuk
@IlkoKowalczuk

Jun 16
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1/Wussten Sie, dass der „17. Juni“ seit 1963 durch eine Verfügung des Bundespräsidenten nationaler Gedenktag ist? (Feiertag war er seit 1953 und wurde erstmals 1954 begangen in der Bundesrepublik, zuletzt 1990, ehe er zugunsten des technokratischen Feiertages 3.Oktober abge-

2/schafft wurde – eine krasse Fehlentscheidung, wie ich finde.) Die meisten wissen das nicht. Woher auch? Wird doch an den Volksaufstand mit etwa einer Million Teilnehmer*innen in über 700 Städten und Gemeinden der DDR zwischen dem 12. und 21. Juni 1953 öffentlichkeitswirksam nur
3/an runden“ Jahrestag wie etwa 2003 oder 2023 erinnert. Im Schulunterricht findet nur selten eine Befassung mit dem Aufstand statt. Die Politische Bildung nimmt sich der gescheiterten Revolution auch nur an, wenn die Politik ihn gerade mal wieder entdeckt... Es gibt kaum ein
4/anderes Ereignis in der Geschichte, mit dem ich mich so intensiv und lange befasst, über das ich so viel publiziert habe wie über den Volksaufstand von 1953. In Hunderten Aufsätzen, Essays, Interviews, Vorträgen seit 1992 und in mehreren Büchern seit 1995 habe ich mich dazu
5/geäußert. Auch in den Sozialen Medien (vor allem Twitter/X und Facebook) habe ich mich seit 2021 ausführlich zu den Hintergründen, Abläufen und Folgen geäußert. Mir tut das geradezu körperlich weh, wie unsere Gesellschaft mit diesem demokratischen Massenaufstand umgeht! In
6/unserer Geschichte steht „1953“ neben „1848“ und „1989“, aber „wir“ können es uns leisten, ihn mehr oder weniger nur alle paar Jahre zu runden Jubiläen hervorzukramen, um was auch immer damit anzufangen – jedenfalls nichts Nachhaltiges. In den aktuellen Konzepten des BKM/
7/Claudia Roth zur Erinnerungs- und Gedenkpolitik kommt er – natürlich – nicht vor. Zwar habe ich dazu in der FAZ interveniert, aber den Sack Reis etc. kann ich mir natürlich auch sparen. faz.net/aktuell/feuill
8/Wir wundern uns, wie es um die Demokratie in unserem Land beschaffen ist? Ich nicht, denn wer so mit seinen wenigen demokratischen und freiheitlichen Traditionen umgeht, sagt auch viel über das eigene Gegenwartsverständnis. Wer sich rasch über die Hintergründe, die Abläufe,
9/internationale Kontexte und Reaktionen und die Folgen informieren will: Der Band aus der Reihe „Beck Wissen“ ist gerade neuaufgelegt worden und preisgünstig. In meiner Ulbricht-Biografie habe ich die Ereignisse nochmals neu auch aus der Herrscher-Perspektive betrachtet und
10/verstanden, warum Ulbricht es als Fehler ansah, dem Befehl der Sowjets gefolgt zu sein und sich in deren Hauptquartier in Karlshorst in Sicherheit brachte. Er war eigentlich kein Feigling, aber gehorsam. Und in dem Buch aus dem Temmen-Verlag von 2003 findet man eine Liste
11/aller bekannten Orte, wo sich etwas im Juni 1953 zutrug. Und es gibt auch Orte des Erinnerns an den 17. Juni im Westen, sogar in der Schweiz! Vielleicht gehen heute, morgen oder in den nächsten Tagen freiheits- und demokratieliebenden Menschen aus eigenen Stücken zu einem Ort
12/des Geschehens und legen Blumen ab, reden über den Aufstand, über Freiheit und Demokratie und warum wir auch im Gedenken der mutigen Männer und Frauen vom 17. Juni 1953 heute unsere Freiheit und Demokratie nicht aufs Spiel setzen sollten!
Ilko-Sascha Kowalczuk

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@IlkoKowalczuk
Wollte immer Historiker werden, ich arbeite weiter dran. - Seltsam, im Nebel zu wandern!/Leben ist Einsamsein./Kein Mensch kennt den andern,/Jeder ist allein.
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