*** Nordkoreanische Volkswirtschaft ***
Ich hatte diese Woche in Seoul die Gelegenheit, eine Vorlesung am Nationalen Institut für Wiedervereinigung zu hören sowie mit zwei aus NK geflohenen Personen zu sprechen. Ein paar Beobachtungen:
1/
Derzeit leben rd 35.000 Menschen aus NK im Süden. Es fällt auf, dass sehr viel mehr Frauen (orange) flüchten (meist über China/Laos/Thailand, wo dann die SK Botschaft alles weitere organisiert). Die Schlepper werden ex post bezahlt.
2/
Größtes Problem für die Flucht ist übrigens China, das NK Flüchtlinge zurückschickt, wo sodann Strafen drohen. Demographisch fällt die Flucht für NK kaum ins Gewicht, das Land wächst im Gegensatz zum Süden mit der weltweit niedrigsten Geburtenziffer (0,65 Kinder/Frau).
3/
NK hat rd 26, SK rd 52 Mio Einwohner. Das Verhältnis ist relevant, wenn man eine Wiedervereinigung durchdenkt: In Deutschland war das Verhältnis immerhin 16 zu 63 Millionen und zudem die DDR nicht derart verarmt wie NK.
4/
Jeder, der aus NK im Süden ankommt, wird über eine Survey mit 1100 Fragen systematisch befragt, u.a. um Rückschlüsse auf die nordkoreanische Volkswirtschaft zu ziehen. Fragen beziehen sich beispielsweise auf die Verteilung von Gütern.
5/
Nachfolgende Statistik ist brutal 50 Prozent der Befragten erhielten durch ihren offiziellen Job weder Lohn noch Lebensmittel. Sie sind quasi Zwangsarbeiter für das Regierungssystem (hohe Funktionäre & Militär).
6/
Strom gibt es durchschnittlich für 4 Stunden, ansonsten müssen Brennstoffe selbst beschafft werden (70% heizen die sehr kalten Winter über mit Holz).
7/
Bauern dürfen nur mehr rund 13 Prozent der Ernte selbst behalten. Seit den 1990ern “funktioniert” die Versorgung der Bürger nicht mehr über die Planwirtschaft, sie wurde faktisch ersetzt durch eine freie Marktwirtschaft (fand ich sehr überraschend).
8/
Fast alle Nordkoreaner haben mehrere Jobs und produzieren teils unter ärmlichsten Verhältnissen alles (Schuhe, Textilien, Lebensmittel usw.) bzw stellen Dienstleistungen bereit (es gibt kein öffentliches Transportwesen mehr, 1/3 hat Zugang zum Gesundheitssystem).
9/
Aufwendigere Produkte kommen aus China, die Grenze ist für den Handel offen und essenziell. Während COVID war die Situation in NK wohl wieder ähnlich wie in den 90ern. Die Regierung toleriert das alles, die Existenz der “Marktplätze” ist Teil der offiziellen Kommunikation.
10/
Das bisschen Staatlichkeit, das in den Provinzen existiert, kann auch nur durch Korruption bestehen. Beamte erhalten keinen Lohn und müssen sich den erpressen. 42% der Geflohenen berichteten, dass mehr als 30% ihres Einkommens für Schmier- und Erpressungsgelder draufging.
11/
Wenn man das positiv drehen will, handelt es sich um eine Form der Besteuerung. Ein Händler mit China berichtete, dass er zur Erlaubnis der Grenzübertritte immer wieder Polizeistationen sanieren musste.
12/
Ein paar Positive Entwicklungen:
1. Anfang der 2000er wurde die Sippenhaft abgeschafft, seitdem müssen Angehörige von Flüchtenden nicht mehr zusätzliche Repressionen fürchten.
13/
2. Der NK Staat glaubt selbst nicht mehr an das System. Gefragt nach einem Spitzelsystem wie bei der Stasi wurde berichtet, dass es ineffektiv sei, weil Spitzel nur als Überzeugungstäter funktionieren (Gruß an Gregor Gysi). Diese gibt es aber nicht mehr.
14/
3. Durch den freien Handel mit China hat die Regierung die Informationshoheit verloren. 80% der Geflohenen haben westliche Filme gesehen. Angesagt sind SK Dramen auf USB sticks. Sie sind Statussymbol. Pausenhofkönig in der Schule ist man mit einem 16GB
15/
Diese drei genannten Aspekte bedeuten für mich einen weniger totalitären Anspruch des Regimes. Gleichzeitig ist es weiterhin maximal repressiv, Kim Jong Un unternahm viel, die Flucht einzudämmen (siehe Chart oben).
16/
Beeindruckend ist der südkoreanische Eifer weiterhin eine Wiedervereinigung anzustreben. Man denke, wie sichtbar 40 Jahre Teilung in
noch immer sind; hier sind es 75 Jahre Teilung! Es dürfte kaum mehr jemand leben mit klarer Erinnerung an ein geeintes Korea.
17/
Auch beeindruckt die Integration: Koreanisch-Kurse, weil sich die SK-Sprache weiterentwickelt hat, dazu wie ein Leben in Freiheit funktioniert. Die Geflohenen berichteten, dass ihre größte Schwierigkeit im Süden darin bestand, mit der Digitalisierung klar zu kommen.
18/
Fazit: Es ist eine Schande für die gesamte Menschheit, dass ein so Regime wie das nordkoreanische existiert. Der dortige Stalinismus ist ein Verbrechen, das seinesgleichen sucht.
19/
Douglas McArthur wollte Korea 1951 durch einen Atomwaffeneinsatz wiedervereinigen. Truman pfiff ihn zurück. Leid aufzurechnen ist immer schwierig.
Bei heutigen außenpolitischen Entscheidungen sollten wir mMn aber langfristige Konsequenzen stärker berücksichtigen.
Ende