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caprettu

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@gripfeli

Aug 16
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Ostdeutsche Seele zwischen Trauma und Selbstbetrug 🧵Thread 🧵 Die heutige Bundesrepublik wurde 1990 gegründet und beherbergte eine Diktatur bis 1989. Es ist eine sehr junge Demokratie, keine 40 Jahre alt. Die innerdeutsche Grenze bestand ähnlich lange wie der jüngst gemeinsam zurückgelegte Weg. 1/

Die Trennung in zwei deutsche Staaten war Folge des von Deutschland angezettelten und brutalen 2. Weltkrieges, welcher weltweit viele Millionen Tote forderte, ganze Landstriche zerstörte und die Weltordnung nachhaltig prägte. 2/
Das von den Alliierten besetzte Gebiet teilte Deutschland bald in zwei Staaten, die unterschiedlicher nicht sein konnten: Im Westen griff ab 1948 der Marshall-Plan der USA, der Europa seine Wirtschaftskraft zurückgeben sollte. Die Bundesrepublik zahlte übrigens etwas über zwei Drittel seines Anteils später zurück. 3/
statista
Im von den Sowjets besetzten Osten jedoch herrsche die Rote Armee mit äusserster Brutalität: Plünderungen, die in der Folge zum massenhaften Hunger und Erfrierungen sowie Ausbluten auch der letzten industriellen Ressourcen führten; Erschiessungen; ndr.de/geschichte/chr 4/
Brandschatzung, Vertreibung und Deportationen nicht nur von männlichen Wehrmachtsangehörigen, sondern wahllos auch von Zivilisten, Frauen und sogar Kindern in sibirische Arbeitslager und Folter. 5/
Vertriebene berlin 1949
Ein besonders schmerzhaftes Kapitel: Die Rote Armee ist verantwortlich für millionenfache Vergewaltigung von deutschen Frauen und Mädchen, in deren Folge etwa 10-12% der Opfer verstarb. Es gab eine Aussetzung der Strafe wegen Abtreibung (Par. 218) in dieser Zeit, um Frauen nicht zum Austragen der durch die Vergewaltigung entstandenen Kinder zu zwingen. 6/
Selbstverständlich war das Sprechen über diese Verbrechen oder gar Anzeigen der Straftäter unmöglich - Befreier sind niemals Täter! Aber warum verarbeiteten die anderen Völker des späteren Ostblocks diese Verbrechen anders als die Opfer in Ostdeutschland? 7/
Belästigung durch Rotarmisten
Der Unterschied: Die Deutschen waren das Tätervolk, die Kriegsverbrechen der Sowjets empfanden sie als gerechte Strafe und nicht als Unrecht. Die Übergriffe der Soldaten standen formell zwar unter Strafe, wurden aber nur selten verfolgt. Erst 1947 begann man langsam damit, die sowjetischen Soldaten räumlich von der deutschen Zivilgesellschaft zu trennen, was bis zum vollständigen Abzug der Soldaten so blieb. 8/
Saal einer verlassenen Kaserne der Sowjetarmee
Aus den Verboten, das Erlebte auszusprechen und dem selbstauferlegten Sprechverbot aus Scham entstand ein „doppeltes Schweigen“. Das Fehlen jeder kollektiven Verarbeitung solcher Katastrophen führt zu sog. transgenerationalen Traumata, also seelischen Schäden, die an die nächsten Generationen „vererbt“ werden können. medicamondiale.org/gewalt-gegen-f 9/
Die Weitergabe erfolgt unbewusst und ungewollt, z.B. durch ungewöhnliche Verhaltensweisen gegenüber den Kindern in bestimmten Situationen, eigene Angstreaktionen oder auch Vermeidungsstrategien. Das Fatale: Die Folgegeneration kann die Ursache ihrer Traumatisierung nicht nachvollziehen bzw. nur dann, wenn es gelingt, die Eltern zu konfrontieren - und sie geben sie weiter. 10/
Die letzte Kriegsgeneration in Ostdeutschland konnte das Trauma des Krieges ebensowenig verarbeiten wie das Trauma der ersten Besatzungsjahre. Als 1953 ein erstes Aufbegehren gegen die Macht der Sowjetunion und deren Vasallen in der Regierung der frisch gegründeten DDR blutig niedergeschlagen wurde, wirkte das als starker Reminder an das Schweige-Gebot und das Verbot jedes In-Frage-Stellens. 11/
Nach diesem weiteren traumatischen Ereignis wurde in der DDR einer der schlimmsten Geheimdienste der Welt aufgebaut - nach innen. Die StaSi war 1950 gegründet worden, erhielt nun aber weitreichende Befugnisse und Mittel, um die eigene Bevölkerung überwachen zu können. Ende der 80er Jahre bezahlte die StaSi an 91.000 Mitarbeiter Gehalt, aber weitere 0,6 bis 1.2% der Bevölkerung waren Informelle Mitarbeiter, d.h. 12/
sie übermittelten Daten und Berichte von Freunden, Bekannten, Verwandten, Mitarbeitern, Kollegen, Mitschülern, Ehepartnern an die StaSi. Die meisten von ihnen aus Überzeugung, nicht gegen Geld. Infolgedessen entstand im Land ein Klima der Unsicherheit, des Misstrauens, der Angst vor Denunziation. Und es gab 13/
Erklärung als Informeller Mitarbeiter
Selbstzensur. Worte, Thesen, Ansichten, die staatlich unerwünscht oder gar verboten waren, kamen nicht mehr vor bzw. wurden auch gedanklich umgeschrieben. Begriffe, die aus dem westdeutschen oder amerikanischen Sprachraum kamen, ersetzte man, manche durch Übertragungen aus dem Russischen. Auf diese Weise veränderte sich die Sprache erheblich, was wiederum Denken und Weltbild der Bürger veränderte und das Verhältnis zur eigenen Sprache entfremdete. 14/
Die sowjetische Besatzung wandelte sich nach der Gründung der DDR 1949 und mit fast zeitgleicher Einsetzung verschärfter Gesetze gegen Verbrechen an der deutschen Bevölkerung hin zu einer alltäglichen Präsenz von Symbolen und Begriffen bzw. schleichenden Russifizierung. 15/
Typische Mai-Demonstration in der DDR - beiden Fahnen gleichberechtigt
Neben der DDR-Flagge war meist auch die sowjetische zu sehen; alle Kinder mussten Russisch als erste Fremdsprache lernen; russische Kultur und Musik war selbstverständlicher Teil in Medien, Aufführungen, Schule und Beruf. Dabei wurden nicht die sehr unterschiedlichen Ethnien im Vielvölkerstaat Sowjetunion betont, sondern stets die russische. 16/
Kulturpalast. Hier fanden die SED-Parteitage statt. Keine DDR-Fahne, dafür sowjetische Farben und Symbolik.
Russische Kultur in ostdeutschen Haushalten. Matrioschka.
Anstecknadel Interkosmos.
Deutsche Kinder im Kindergarten: Aufführung russischer Lieder und Texte
Das Narrativ: Es gibt zwei deutsche Staaten. Der westliche ist der faschistische und imperialistische Staat, geprägt von der USA, die ihre Waffen auf uns richten und die Sowjetunion mit Vernichtung bedrohen, weil sie erkannt haben, dass wir im Ostblock eine bessere Antwort auf die grossen Fragen der Menschheit haben: den Sozialismus. Die NATO unter Führung der USA war der Feind. Deutschland als Begriff meinte stets: die anderen (nicht wir). 17/
Amerikanische Pershing
Bereits ab dem Kindergarten wurde diese Weltanschauung geprägt. Die trennende Mauer durfte z.B. nur „antifaschistischer Schutzwall“ genannt werden: Bollwerk gegen die Faschisten im anderen Deutschland, damit in der DDR keine Aufarbeitung der Nazi-Ära stattfinden musste. Die Menschen wurden statt dessen vom „grossen Bruder“ Sowjetunion in gönnerhafter Geste zum „Neuen Menschen“ oder „Menschen neuen Typus“ umgestaltet - eine Doktrin, die auch der Nationalsozialismus vertrat! bpb.de/system/files/d 18/
Der vergewaltigte, ausgeplünderte, deportierte, verhasste, gedemütigte, gefolterte und damit zurecht bestrafte deutsche Täter hatte die gnädige Erlaubnis erhalten, sich zum kleinen Bruder der grossartigsten Rasse der Welt umformen zu lassen: Russen. 19/
Wenn wir nun die nicht aufgearbeiteten Kriegserfahrungen selbst, die zugefügten Traumata der Besatzungszeit, die starken Belastungen durch Repressalien, Sprechverbote, Zensur und Selbstzensur, unausgesetzter Desinformation und russischer Propaganda, Hetze, soziale Verwerfungen durch Denunziation und Bespitzelung, 20/
Verhaftung 17. Juni 1953
Geschichtsverdrehungen und Bildungseinschränkungen sowie Normalisierung der Lüge und des Gefühls der Auslieferung als transgenerationale, sich überlagernde und verstärkende Traumata verstehen, die durch Russifizierung der Gesellschaft einen Ausweg ins vermeintlich Positive mit Chance auf Selbstentschuldigung erhielten, 21/
dann wird die Nähe ostdeutscher Bürger zu Russland womöglich klarer. Aber auch der Selbstbetrug, sich als Volk der Revolutionäre zu verklären - denn 80% der Ostdeutschen sind diesen inneren Weg nie gegangen. Sie waren Mitläufer und sind es geblieben - Mitläufer der DDR. Und da deshalb bis heute kaum ein Unterschied gemacht wird zwischen Sowjetunion, Russland, der Russischen Föderation und den Staaten, die sich befreien konnten, erklärt sich vielleicht auch, 22/
warum die Hilfsbereitschaft gegenüber fliehenden Ukrainern im ersten Moment in Sachsen und Thüringen überragend war, jedoch nach dem ersten Schock umschlug in Ablehnung, sobald im engen Kontakt verstanden wurde, dass diese Ukrainer sich nie mehr der Umerziehung der russischen Herrenrasse und der Rückkehr ins Reich hingeben wollen und dass sie sich als etwas gänzlich anderes sehen denn als in Russland aufgegangene Söhne. 23/
Im Namen Russlands straft der deutsche Osten die Ukraine mit Hass, weil 40 Jahre sowjetische Herrschaft nicht einfach verschwinden können. Statt die Verbundenheit der 89er Revolution mit dem Euromaidan zu fühlen, zieht es das alte Tätervolk in den Schoss des verzeihenden Mutter Russland. Nationalsozialismus und Stalinismus - wiedervereint. 24/
Wenn wir unsere Diktaturen nicht aufarbeiten, werden wir keine deutsche Einheit herstellen können. Deutschland - wie es heute ist - wurde 1990 gegründet. Bis 1989 lebte 1/4 unserer Menschen unter einer brutalen Diktatur. Die Deutschen im Westen haben ihre Diktaturerfahrung nach 80 Jahren noch immer nicht vollständig verarbeitet, aber sie sind dem Osten einen Schritt voraus. Lasst uns in Klausur gehen. Gemeinsam! Wir sind jetzt EIN VOLK! • /Ende\ •
caprettu

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