Ich habe „Freiheitsschock“ von
@Ilko-Sascha Kowalczuk in wenigen Tagen durchgelesen - durchgearbeitet wohl besser, wenn ich mir die Anzahl der Markierungen, Randnotizen und Lesezeichen anschaue.
Ein
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Ziel seines Buches sei, so schreibt Kowalczuk, „nachzuspüren, warum so viele Ostdeutsche (und nicht nur sie) so große Probleme haben, Freiheit und Offene Gesellschaft nicht nur als Zumutung, sondern als eine Chance zu sehen, die ihnen die Möglichkeit bietet,
2/11
sich zu entfalten“. (S. 10)
Es sei ein zorniges Buch, schreibt er und sagt er zuweilen auch in Interviews, aber so zornig finde ich es gar nicht. Das mag daran liegen, dass mir die Auseinandersetzungen darum, wie der Osten denn zu lesen und zu verstehen sei, nicht ganz
3/11
unbekannt sind. Schon im vergangenen Jahr wurde viel über die Bücher von Oschmann und Hoyer geschrieben, und mir scheint, dass sowohl die „Ostalgie“ als auch die Nähe zu Russland sich auch immer wieder in den Debatten um den russländischen Aggressionskrieg gegen die Ukraine
4/11
zeigen. Jene, die nach Verhandlungen rufen uvm., nennt Kowalczuk „Putin-Nichtversteher“, und ich finde das sehr charmant und auch sehr klug. Denn diese beweisen immer wieder, dass sie den Imperialismus eben nicht verstehen und sich eher als Sympathisant*innen gerieren.
5/11
Einen echten Mehrwert hat - auch wenn Kowalczuk schreibt, dass die, die das Buch lesen werden, es eigentlich nicht lesen müssten (sondern andere) und dass eigentlich schon alles gesagt sei - für mich der Teil über den ostdeutschen Nationalismus und über den Antiamerikanismus
6/11
und die Ablehnung alles Westlichen auf der einen und die völlig unreflektierte Begeisterung, die den Westen quasi als das Paradies gezeichnet hat. Wenn man die Vereinigung der beiden deutschen Staaten vor dieser Folie betrachtet und noch die These dazunimmt, dass viele
7/11
Ostdeutsche während und nach der Wende materiellen Wohlstand mit Freiheit verwechselt (ich denke: vielleicht auch einfach gleichgesetzt) haben, wird vieles klarer - zumindest mir ging es so.
8/11
Auch sprachlich ist das Buch ein wirklicher Lesegenuss, und die vielen historischen Bezüge und das Einflechten theoretischer Hintergründe fand ich hervorragend.
Ganz besonders hat mich die Diskussion um die (in der DDR nicht existente) Zivilgesellschaft beschäftigt,
9/11
ebenso der Hinweis, dass, was auch immer Einzelne als positiv erlebt haben mag, eben nur „im Rahmen eines extrem unfreiheitlichen und antidemokratischen Systems“ funktionierte (S. 75).
Vieles, was wir jetzt gerade mit Blick auf Ostdeutschland, auf die anstehenden
10/11
Landtagswahlen erleben, wird mit diesem Buch verständlicher.
Ich kann die Lektüre sehr empfehlen.
11/11 END