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Martin Sauerbrey

Martin Sauerbrey
@MartinSauerbrey

Sep 24
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Weils mir keine Ruhe lässt. @Johannes Varwick stellte heute fest, dass sich die Ukraine der Realität stellen solle, dass einige Teile Ihres Territorium zeitweise unter russischer Kontrolle stehen werden würden. Dann führt er die Balten ins Rennen, die ja schließlich🧵

nach einem halben Jahrhundert ja auch ihre Freiheit wiedererlangt. Sehen wir uns mal an, was der Professor hier so salopp in den Raum gestellt hat: 1) Die russische Besatzung dauerte wesentlich länger. Estland und Teile Livlands kamen 1710 unter russische Herrschaft.
Estland wurde ab 1889 einer Russifizierung unterworfen, die aber hauptsächlich die deutschen Eliten betraf, die seit der Eroberung durch den Livländischen- bzw. Deutschritterorden in Livland und Kurland den Adel stellten. Nach der Revolution 1905 wurden Forderungen nach
laut, die allerdings erst 1917 mit der Oktoberrevolution ernsthaft angestrebt werden konnte. am 23.02.1918 erklärte man die Unabhängigkeit, die erst nach einem zweijährigen Krieg gegen die Rote Armee im Frieden von Tartu am 02.02.1920 erreicht wurde. In diesem Vertrag
verzichteten die Bolsheviki für immer auf alle territoriellen Ansprüche gegenüber Estland. Litauen und große Teile Lettlands kamen erst 1795 nach der dritten Teilung Polens zum russischen Reich. Zweimal revoltierten die Litauer und Polen gegen Russland: 1830-31 und 1863-64.
Beide Aufstände scheiterten und die russischen Repressionen und Russifizierungmaßnahmen nahmen stetig zu. Im WK I. gehörten Teile Litauens zur deutschen Besatzungszone Ober-Ost und vor allem die Deutschbalten kooperierten mit der Besatzungsmacht.
Die deutschen Pläne, Litauen zu annektierten wurden durch die Niederlage gegenstandslos. Jedoch konnte sich schon unter deutscher Besatzung eine Art provisorischer Regierung herausbilden. Die Deutschen räumten das Gebiet am 01.01.1919 woraufhin die Rote Armee ca. 2/3
Litauens besetzte. Zeitgleich musste man sich auch gegen Polen verteidigen, das ebenfalls im Krieg mit der Roten Armee stand und Ansprüche auf litauisches Gebiet erhob. Am 12. Juli 1920 unterzeichneten die Bolsheviki und Litauer den Sowjetisch-litauischen Friedensvertrag, in dem
die Sowjets auf alle Gebietsansprüche verzichteten. Am 07. Oktober 1920 schloss man den Suwałki-Vertrag mit Polen, das sich die Region Vilnius einverleibt hatte.
Lettland erlangte nach einem verworrenen Krieg gegen Rote Armee, deutsche Freikorps, Polen die Unabhängigkeit. Am 1. Mai 1920 tagte das erste frei gewählte lettische Parlament.
Die Freiheit währte nur kurz denn am 23. August 1939 unterzeichneten die Sowjetunion und das 3. Reich den Molotov-Ribbentrop-Pakt, in dessem "Geheimen Zusatzprotokoll" man Osteuropa unter sich aufteilte.
Schon im Herbst 1939 zwang die UdSSR die baltischen Staaten die Stationierung sowjetischer Truppen auf ihrem Staatsgebiet zuzustimmen. 1940 begann der NKWD damit Unruhen zu provozieren. In Lettland wurden Politiker ermordet und durch Sowjetkader ersetzt, "Wahlen" abgehalten bei
der nur pro-sowjetische Kandidaten zugelassen waren. Diese Regierung suchte um die Aufnahme in die UdSSR an. Am 5. August 1940 wurde Lettland Teil der UdSSR. Vor Unternehmen Barbarossa wurden mindestens 35.000 Litauer nach Sibirien deportiert, ca. 40% starben.
Litauen wurde am 14. Juni 1940 ein Ultimatum gestellt. 150.000 Sowjetsoldaten marschierten in Litauen ein. Ca. 12.000 "Feinde des Volkes" wurden verhaftet. ca 12.000 deportiert. Viele ermordet.
Estland wurde am 16. Juni 1940 besetzt. Ca. 8.000 Politiker, Offiziere, Beamte wurden sofort verhaftet, 2.200 noch in Estland hingerichtet, viele ins GULAG geschickt. Weitere 10.000 Esten wurden ebenfalls nach Sibirien deportiert. Ca. 30.000 Männer wurden nach Russland
verschleppt, von denen viele in "Arbeiterbatallionen" zu Tode kamen. Als die Wehrmacht und SS im Baltikum einmarschierten wurden sie -auch aufgrund der Vorgeschichte -von vielen als Befreier gefeiert. Viele kollaborierten, waren Helfer im Holocaust, kämpften in Wehrmacht und SS.
Allerdings wurden die Hoffnungen auch schnell enttäuscht und es bildete sich rasch Widerstand gegen die neuen Besatzer aus. Die UdSSR blieb aber der Hauptfeind.
Nachdem die Sowjets das Baltikum wiedererobert hatten, begann der Terror erneut. Zwischen 1945 und 1953 wurden ca. 290.000 Balten deportiert. Viele davon während der "Operation Priboi" im März 1949.
In allen drei Staaten dauerte der bewaffnete Widerstand bis in die 1950er an. Zeitgleich kamen mit dne neuen Machthabern viele ethnische Russen ins Baltikum, viele davon als Kolonisten. Nach Stalins Tod besserte sich die Lage und vor allem Lettland wurde ein
wichtiger Industriestandort. Mit Gorbatschews Perestroika und Glasnost wurde auch der Wunsch nach Unabhängigkeit lauter und 1991 wurden alle 3 Unabhängig. In Lettland und in Litauen versuchten die Sowjets die neuen Republiken mit Gewalt
niederzuschlagen. Dies scheiterte. Die UdSSR zerfiel. Damit sollte klar sein, dass die russische Besatzung a) wesentlich länger dauerte b) oft mit Terror, Mord und Vertreibung einherging Aber da kann man schon mal das eine oder andere Jährchen erdulden. Besser ist es halt,
man wehrt sich nicht zuviel. Prof. Varwick sieht das nicht ganz so schlimm mit der Besatzung großer Teile der Ukraine. Wie sieht es dort aus?
1) Vertriebene oder Geflüchtete: laut UNHCR Stand Februar 2024: 3.7 Millionen intern, 6.5 Millionen extern. Viele davon aus den seit 2014 und 2024 besetzten Gebieten. 2) Was ist mit der Bevölkerung in den besetzten Gebieten? a) zehntausende Kinder wurden "evakuiert" und
nach Russland verschleppt. Sie werden von Russen adoptiert, in "Sommerlager" geschickt, wo sie "russifiziert" werden, teilweise mißhandelt b) Die verbliebene Zivilbevölkerung, die nicht pro-russisch ist wird Russifizierungsmaßnahmen unterworfen, hat mit Represalien zu rechnen,
wenn sie nicht russisch spricht oder den russischen Pass nicht annimmt. Folter, Verschleppung und Mord, Plünderungen, Enteignungen stehen auf der Tagesordnung.
3) Ukrainische Kultur wird unterdrückt und zerstört. Bücher vernichtet, Ukrainisch verboten, Lehrer entlassen. Hier wird nichts anderes als eine komplette Auslöschung ukrainischer Kultur betrieben.
Und je länger die Besatzung dauert, desto näher kommt Russland an sein Ziel. Laut Varwick muss man sich ahlt mit der Realität abfinden. Also die Ukrainer halt. Ihm ist es schei* egal... END
P.S.: Genau das was ich hier beschrieben hab ist DER Grund dafür, dass alle, die mal am russischen (und deutschen) Wesen genesen durften, schnurstracks in die NATO wollten. Und warum es gut ist, dass sie dort sind...
Martin Sauerbrey

Martin Sauerbrey

@MartinSauerbrey
Historian | Researcher at LBI for the Consequences of War | Digital Humanities, Eastern Europe, Byzantium | All opinions are my own
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