1/Aus einem Interview in der Frankfurter Rundschau (4.10.24) und warum Zugewanderte die Demokratie im Osten vorerst retteten: "Mich hätten auch noch dramatischere Wahlergebnisse nicht überrascht. Nimmt man zur AfD und dem Wagenknecht-Bündnis noch diverse Kleinparteien hinzu, so
2/haben in diesen drei Bundesländern über 50 Prozent pro Kreml und pro Putin gestimmt. Für mich ist diese Haltung zu Russland und der Ukraine ganz entscheidend für die Zukunft Deutschlands und Europas. Und ich glaube, wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung. ... Der Hass im
3/Osten ist viel weiter verbreitet als sich das Kommentatoren im Westen vorstellen können. Er zielt auf das politische System des Westens, namentlich die USA. ... Gerade jetzt rekonstruieren die Menschen dort eine DDR, die es nie gab – eine ohne Mauer, ohne Stacheldraht, ohne
4/Gefängnisse, ohne Stasi. Stattdessen nehmen sie die DDR als den friedlichsten Staat der Weltgeschichte wahr. Da kann ich mich nur halbtot lachen. Denn die DDR war ein feindseliger Staat, der nach 1949 einen permanenten Bürgerkrieg gegen seine eigene Gesellschaft geführt hat.
5/Davon wollen die Leute aber nichts hören. ... Denen hat keiner erklärt, was Demokratie, Freiheit und Selbstbestimmung ist. Aber sie wollten das auch nicht erklärt bekommen, weil sie bis heute sagen: „Wir sind doch nicht doof. Wir wissen schon, was Demokratie ist.“ Das aber
6/bezweifele ich. Ich gehe davon aus, dass man es wollen muss, das ideologische Grundkonzept zu verlernen, was einem über Jahrzehnte hinweg antrainiert wurde, 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche gab. Da bleibt halt viel hängen an Diktatursozialisierung und Diktatur-
7/schädigung. ... Daraus erwächst eine Transformationsüberforderung. Es grassiert Angst und Unsicherheit. Beides spielt Extremisten, die beides zudem schüren, in die Hände. ... Die Menschen müssten sich die Fragen stellen: Warum bin ich eigentlich so wütend? Was ist eigentlich
8/mein Anteil an der Situation? Warum unternehme ich nichts gegen die Dinge, die mir nicht gefallen? Aber dafür müsste man sich selbst infrage stellen. Aber der Mensch neigt nun mal dazu, eher alles andere infrage zu stellen als sich selbst. ... Kernelement ist die Partei eines
9/neuen Typus, in der auf eine Führungsgruppe oder eine Persönlichkeit zugeschnittene militärähnliche Strukturen von Berufsrevolutionären ausgeübt werden. In dieser Struktur gibt es nur einen Willen, das ist in diesem Fall der von Sahra Wagenknecht, alles andere ist Staffage.
10/Insofern handelt es sich für mich auch nicht um eine Partei, sondern um eine Sekte, eine autoritäre Gruppe. Wagenknecht ist eine geschulte Leninistin. Sie hat sich nie vom Leninismus, vom Kommunismus oder der DDR distanziert. Und der Kernpunkt für mich ist, und da kommt die
11/faschistische AfD mit ins Boot, das Verhältnis zu Russland und zum Freiheits- und Verteidigungskampf der Ukraine.Die AfD und Wagenknecht gerieren sich als eine Art Außenamtssprecher des Kremls und von Putin.Für mich sind die AfD und Wagenknechts BSW zwei Seiten einer Medaille.
12/Die streben Verhältnisse wie sie Russland herrschen für Deutschland an: Eine Diktatur der Mehrheit. ... Aus Sicht der CDU ist es in meinen Augen absurd, dass sie in Thüringen nicht mit dem überzeugten und überzeugenden Demokraten Bodo Ramelow von der Linkspartei spricht. Die
13/CDU hält einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linkspartei aufrecht und will gleichzeitig Verhandlungen mit einer Person führen, die maßgeblich dafür verantwortlich war, dass es überhaupt einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegeben hat. Der Ausweg ist für mich eine Minderheits-
14/regierung. ... Für mich ist völlig klar: Die AfD ist eine faschistische Partei. Diese Partei strebt eine neue politische Ordnung an, eine autoritäre Verfassung. Darin gelten die Menschenrechte, wie wir sie bisher kennen, nicht mehr. Sie wollen eine Diktatur der Mehrheit. ...
15/Es ist ein Irrglaube anzunehmen, dass Leute wie Kretschmer mit der Verkündung von AfD-Narrativen Wähler für die CDU zurückzugewinnen. Die Leute wählen dann lieber das Original. Niemand wählt eine billige Kopie. Politiker wie Kretschmer bewegen sich in eine Sackgasse, aus der
16/sie nicht mehr herauskommen. Sie verpassen die Chance, klare Gegenprogramme zu entwickeln und sich damit attraktiv zu machen. Wir brauchen aber Politiker, die Gegenansichten und demokratische Meinungen offensiv vertreten und verkünden, um gegen die AfD anzukommen. Ich mag mir
17/im Übrigen die Wahlergebnisse in Thüringen, Sachsen und Brandenburg nicht ohne die seit 1990 zugewanderten Westler vorstellen. Zwei Millionen von ihnen wohnen im Osten. Die haben wohl bei den jüngsten Landtagswahlen letztlich die Demokratie gerettet."
https://www.fr.de/kultur/gesellschaft/historiker-ueber-afd-und-den-osten-die-menschen-rekonstruieren-eine-ddr-die-es-nie-gab-93335791.html…