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Perugino

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@Perugino14

Oct 12
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Ein langer Thread zum Thema CDU und Ukrainekrieg: Ukraine-Unterstützer können die CDU trotz des großen Engagements von Herrn Kiesewetter nicht als Partei sehen, die sich klar auf Seiten der Ukraine positioniert hat. Dazu tragen zwei Umstände bei (1/22):

Erstens unstreitig das Verhalten der Ost-CDU, die bereit ist, für eine Koalition mit dem BSW die offizielle Parteilinie zu opfern und die Ukraine unter den Bus zu werfen. Kretschmer ist nicht nur MP von Sachsen, sondern auch als Vizepräsident der CDU „ranghöher“ als Kiesewetter.
Es muss hier auch nochmal daran erinnert werden, dass in geleakten Dokumenten des FSB Kretschmer als besonders wertvolles Asset zur Destabilisierung Deutschlands genannt wurde, ohne dass das in der Union zu einer Reaktion geführt hat.
Zweitens das Verhalten von Herrn Merz: Merz hält sich in den Diskussionen um die Ukraineunterstützung sehr zurück. Seine Äußerungen dazu waren stets innenpolitisch motiviert: Einmal keilte er gegen die Unterstützung ukrainischer Flüchtlinge, einmal nutze er die Taurus-Debatte,
um Scholz vorzuführen, und in der letzten Woche äußerte er sich zum Thema in einer „Merz-Mail“, die zwar brav die Minimalpunkte zu diesem Thema referierte, aber erkennbar nur die Absicht hatte, die Empörung in der West-CDU über die geplanten Koalitionen mit dem BSW einzufangen.
Merz scheint die Strategie zu haben, die CDU weiter nach rechts zu rücken und konservative Positionen von der AfD zurückzuerobern. Das ist natürlich legitim. Es fragt sich aber, ob die Strategie aufgeht.
In Umfragen schneidet die Bundes-CDU angesichts des katastrophalen Ampel-Images erstaunlich schwach ab (mit fallender Tendenz), während die AfD nicht verliert. Ich will das nicht werten, mich interessiert hier nur die Implikationen für die Ukraine-Unterstützung.
Es liegt in der Logik dieser Strategie, potentielle Wähler aus der AfD insbesondere aus dem Osten mit zu viel Forderungen nach Waffenlieferungen nicht zu vergrätzen. Letztlich fällt die CDU aber deshalb als Opposition und Korrektiv gegen den zögerlichen Scholz-Kurs leider aus.
Darüber hinaus stellt sich natürlich die Frage, ob Merz überhaupt die Bedeutung dieses Krieges als Weichenstellung für unsere Demokratie überhaupt erkannt hat. Die FAZ schrieb einmal, dass das Thema Ukraine Merz und Söder nicht interessiert.
Dadurch gibt die CDU ihren Markenkern (Westbindung, Außen- und Sicherheitspolitik) auf. Die einzige Partei, die konsistent das Interesse der Ukraine verteidigt, sind die Grünen. Auch hier schwächt die Union indirekt eine Unterstützung der Ukraine, indem sie die Grünen TROTZ deren
Ukraineunterstützung zum Hauptfeind der demokratischen Parteien erklärt und umgekehrt so die SPD TROTZ deren Versagen in der Ukrainepolitik als Koalitions-Wunschpartner aufbaut: Sie demonstriert damit also wieder, dass das Thema Ukraine nicht wichtig ist.
Ich halte den Ausfall der Union in dieser Frage für extrem wichtig: Würde die Union sich zu einer klaren Linie entscheiden und die SPD damit vor sich hertreiben, würde die politische Landschaft ganz anders aussehen.
Die innenpolitische Debatte wäre eine andere, vermutlich würden AfD und BSW weniger durchdringen. Scholz wäre gezwungen, die Ukraine stärker zu unterstützen. Mit einem Angebot an die Grünen unter dem Vorzeichen einer klaren Ukraineunterstützung wäre die Ampel vermutlich
schon Geschichte, und wir hätten eine starke schwarz-grüne Regierung. Die Dynamik in Europa wäre ganz anders –möglicherweise wäre der Krieg bereits für die Ukraine gewonnen. Die Strategie der Union zu diesem historischen Zeitpunkt ist ein Verhängnis.
Da man von der 17%-SPD mit ihrem Antiamerikanismus, ihrer Russlandconnection und ihrem Pazifismus nicht erwarten kann, dass sie das Richtige tut, ist der Ausfall der CDU die große enttäuschende Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik. Die Situation ähnelt dem Brexit:
Während der von den Tories betrieben wurde, fiel Labour als Opposition komplett aus, weil Corbyn als linker Ideologie ebenfalls keine Unterstützung für die EU mobilisieren wollte. So fällt die CDU als Opposition aus, weil Merz rechtspopulistischer Kurs nicht mit einer klaren
Ukraineunterstützung vereinbar ist. Die CDU fehlt auch als wichtige Stimme, die der Bevölkerung diesen Krieg erklärt. Im Moment gibt es nur eine Handvoll von Politikern aus der dritten Reihe, die das überhaupt versucht (Kiesewetter, Hofreiter, Strack-Zimmermann).
Auch deshalb ist die Konfusion in Deutschland so groß, obwohl ich glaube, dass der Großteil der Bevölkerung so anständig ist, dass bis zu 70% sich für eine stärkere Solidarität mit der Ukraine gewinnen ließe. Anstelle in die AfD hineinzuhorchen und ihr nach dem Mund zu reden,
sollte die CDU ihre starke Position in allen Landkreisen nutzen, um klare Botschaften zu senden. Im Umkehrschluss liegt der Schlüssel deshalb in der Union. Anstelle sich an Scholz und Wagenknecht abzuarbeiten, sollten die Ukrainefreunde sich auf die Unterstützung jener
westdeutschen Unionsverbände konzentrieren, die die Bedeutung dieses Krieges erkannt haben und verantwortlich für Deutschland handeln wollen. Der Populistenflügel um Merz und Linnemann sollte gestellt und immer wieder zu klaren Aussagen gedrängt werden.
Letztlich ist das im Interesse der Union. Dieser Krieg ist eine Weichenstellung für das 21. Jahrhundert und er ist ein Schwarz-Weiß-Fall: Sehr einfach zu verstehen. Dass es der Union nicht gelingt, hier eine konsistente Haltung zu finden, ist Ausdruck ihrer Identitätskrise und
Menetekel für die Zukunft Deutschlands. Dass mittlerweile die Grünen als kompetenter in Außen- und Sicherheitspolitik wahrgenommen werden, zeugt ebenfalls von dem Kurs der selbstgewählten Verzwergung, auf dem sich die Merz-Union befindet. /Ende und danke.
Perugino

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@Perugino14
Historiker, jetzt Consulting. Logensitz im Welttheater des 21. Jh.: Arbeitete 3 Jahre in 🇷🇺 , 6 Jahre in der 🇺🇦 , 11 Jahre in 🇨🇳 , mein Vater wählt AfD.
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