Frank-Walter Steinmeier sollte sich an Willy Brandt ein Vorbild nehmen. Brandt hatte 1990 im Gespräch mit Studenten in Paris die Größe, einen zentralen Irrtum in seiner Ostpolitik einzugestehen. Ein kurzer
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Für sein Buch "Polen und Deutsche" (Suhrkamp, 2011) sprach Hofmann mit dem ehemaligen polnischen Außenminister Geremek. Dabei ging es unter anderem auch um das angespannte Verhältnis zwischen deutschen Sozialdemokraten und der polnischen Oppositionsbewegung Solidarność /2
Geremek erzählt Hofmann eine wichtige Anekdote. Hofmann schreibt in seinem Buch: "Im Jahr 1990 traf er mit Willy Brandt und Alexander Dubček in Paris zusammen ... »Ein schönes Treffen, für uns drei sehr interessant«, erinnert sich Geremek mit einem Lächeln auf den Lippen." /2
»Die französischen Studenten fragten Brandt: ›Sie treten heute heute zusammen mit Herrn Geremek auf, aber als Sie 1985 nach Polen kamen, haben Sie ein Gespräch mit ihm abgelehnt. Schämen Sie sich dessen nicht?‹ Willy Brandt hat sehr schön geantwortet:« /3
›Ich dachte, dass die Sowjetunion eine Macht sei, die man heute einfach nicht zerschlagen kann. Die Dissidentenbewegung hielt ich für hoffnungslos. Ziel meines politischen Handelns war es, den Menschen im östlichen Teil Europas zu helfen: meine Landsleuten, Polen ...‹ /4
›Ungarn, Tschechoslowaken und anderen. Heute weiß ich, dass ich einen Fehler gemacht habe. Mich entschuldigt es nicht, dass ich nicht der Einzige war. Heute weiß ich, was ich damals nicht wusste, dass man mit nichtpolitischen Methoden die Macht eines Imperiums brechen kann.‹ /5
In meinem jüngst erschienenen Buch "Germany and China" (Bloomsbury, 2024) habe ich mich mit der Steinmeier-Doktrin "Annäherung durch Verflechtung" beschäftigt. Dieser müde Aufguss von Egon Bahrs "Wandel durch Annäherung" hatte zahlreiche konzeptionelle Schwächen /6
Die Steinmeier-Doktrin wies sechs Schwächen auf: (1) eine selektive Lesart der europäischen Integrationserfahrungen, (2) eine problematische Projektion der Prinzipien und Praktiken von Interessenverhandlungen in liberalen Demokratien auf das Verhältnis Europas zu Autokratien /7
(3) eine unbegründete Skepsis gegenüber der transformativen Kraft der Zivilgesellschaft in nicht-demokratischen Ländern, (4) eine Romantisierung der Ostpolitik Egon Bahrs und eine Vernachlässigung der Bedeutung militärischer Macht in den internationalen Beziehungen /8
(5) eine zu enge Beziehung zwischen deutschen Außenpolitikern und Wirtschaftsvertretern, und (6) eine Neigung zu Gruppendenken unter deutschen Diplomaten und eine Intoleranz gegenüber konträren außen- und sicherheitspolitischen Ratschlägen /9
Wer Irrtümer einräumt, so wie es Willy Brandt getan hat, beweist Größe. Steinmeier könnte unserem Land einen Dienst erweisen, wenn er seine Fehleinschätzungen einräumen würde. Als Präsident sollte er mit gutem Vorbild vorangehen und zu einer besseren Fehlerkultur beitragen /Ende